Darstellbarkeit und Wahrnehmbarkeit
9. Zeiträume
von Thomas Kaestle
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Die Forderung nach Verwertbarkeit und Darstellbarkeit entspricht natürlich auch einer zunehmenden Angst von Politik und Verwaltung, sich an den Ergebnissen ihres Tuns messen lassen zu müssen. Das ist in einer repräsentativen Demokratie zunächst richtig und wichtig. Dennoch ist hier meiner Meinung nach über die Jahre ein Gefühl für Zeiträume und langfristige Visionen verloren gegangen, die sich über Legislaturperioden hinaus erstrecken. Bürger, Medien und Politiker sind ungeduldiger geworden. Die Kultur hat hier das Pech, zwangläufig näher am nachvollziehbaren Alltag der Menschen zu sein als andere politische Prozesse (die in der Regel mit deutlich höheren Budgets arbeiten). Dass das Konzept der Kultur- und Kreativwirtschaft einigen neoliberalen und -konservativen Tendenzen der vergangenen Jahre perfekt in die Hände spielt, war von der Enquete-Kommission vermutlich nicht intendiert. Sie hätte dies jedoch vorhersehen können. Letztlich passt auch das Diktat der Vermittlung hervorragend in Verwertbarkeits- und Darstellbarkeitsforderungen. Dass Kulturvermittlung grundsätzlich an Bedeutung gewonnen hat, ist zunächst sehr begrüßenswert. Dass es jedoch einige Jahre lang gefühlt einfacher war, Fördergelder für Vermittlungsprojekte zu erhalten als für Kulturprojekte, erscheint paradox. Auch hier hat die Kulturförderung ganz eindeutig versucht, Richtungsentscheidungen zu forcieren: hin zu mehr Darstellbarkeit. Dabei erlaubte die Vermittlungsförderung zumindest in der Bildenden Kunst eine neue Form von Projekten: Plötzlich war es möglich, Personalkosten in den Vordergrund zu stellen, wo bislang Materialkosten den Schwerpunkt zu bilden hatten. Viele Kulturförderer arbeiten nämlich bis heute mit einem Kunstverständnis, welches die Entwicklungen der vergangenen hundert Jahre zu ignorieren scheint. Kunst ist Material, ist Leinwand und Farbe und Bronze und Marmor und Holz. Oder eben Kamera, Druck, Monitor und Projektor. Dass Menschen, Konzepte und Prozesse dabei im Vordergrund stehen können, dass Honorare deshalb nicht zwangsläufig ihre Entsprechung in Material und Technik finden müssen: zu neumodisch offenbar. Dass Duchamp, Beuys oder Kosuth nicht nur Exponate in Museen hinterlassen haben, sondern auch das Denken in der Kunst beeinflusst haben: zu ungreifbar. Die einschlägigen Kulturszenen passen sich allerdings recht schnell an Förderbedingungen an, lernen, diese zu nutzen, zu deuten, zu unterlaufen. Es etablieren sich Strukturen, um mit den etablierten Strukturen umgehen zu können. Das mag intern als Subversion funktionieren. Von außen betrachtet ist es die Akzeptanz von Richtungsfestlegungen.